Büchner und die Naturwissenschaften

Spuren zweier Kontrahenten: Im Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 1833 stehen die Veranstaltungen Wilbrands und Wernekincks direkt untereinander.
Quelle: Verzeichnis der Vorlesungen, welche auf der Grosherzogl. Landesuniversität zu Gießen im bevorstehenden Sommerhalbjahre zum 6ten Mai 1833 an gehalte werden sollen, […]. Bestand: Universitätsarchiv Gießen.

Neben seinem politisch-revolutionären Handeln und seiner Arbeit als Schriftsteller war Georg Büchner vor allem Naturwissenschaftler. Besonders beeinflusst wurde er dabei durch zwei verschiedene Forschungsrichtungen: der empirischen Richtung (KP: Verlinkungen auf empirische Methode/siehe unten) und der naturphilosophischen Richtung (KP: Verlinkung auf Naturphilosophie/siehe unten).

Büchner studierte von 1831-1833 vergleichende Anatomie an der Medizinischen Fakultät der Universität Straßburg, sein Studienschwerpunkt war Zoologie. Während dieser Zeit pflegte Büchner Kontakt zu den akademischen Lehrern Georges-Louis Duvernoy, welcher die empirische Richtung der zoologischen Forschung vertrat, und Ernest-Alexandre Lauth, einem Vertreter der naturphilosophischen Richtung.

Von 1833 bis 1835 studierte Büchner in Gießen, wo er seine Forschung wahrscheinlich in beide Richtungen fortsetzte. Die empirische Methode vertrat Friedrich Christian Gregor Wernekinck (Verlinkung siehe unten), bei welchem er im Sommer 1834 eine anatomische Lehrveranstaltung besuchte. Auch Justus Liebig war Empiriker, wobei sich Liebig und Büchner aufgrund verschiedener Fachdiziplinen vermutlich nicht begegnet sind. Naturphilosophisch geprägte Veranstaltungen könnte Büchner wiederum bei dem Anatomen und Physiologen Johann Bernhard Wilbrand (Verlinkung siehe unten) besucht haben. Allerdings gibt es keinen Beleg für Büchners Teilnahme an Wilbrands Vorlesungen. Beide Forschungsansätze waren jedoch in Gießen vertreten, was allerdings aufgrund vieler methodischer Diskrepanzen wiederholt zu Forschungsstreitigkeiten führte.

Nach seiner Flucht zurück nach Straßburg am 9. März 1835 schloss Büchner sein Studium ab. Seine Promotion erfolgte in Straßburg und in Zürich: Seine Doktorarbeit Mémoire sur le système nerveux du Barbeau [dt.: Über das Nervensystem der Barbe] schrieb Büchner 1835/36 in Straßburg. Die Doktorwürde in Philosophie wurde ihm schließlich am 3. September 1836 von der Universität Zürich verliehen. 

In Zürich hielt er als Voraussetzung für seine Habilitation am 5.November 1837 die Probevorlesung Über Schädelnerven, welche teilweise auf seiner Mémoire basierte. Zoologie bildete den Schwerpunkt von Büchners Forschungen, so auch in seiner Lehrveranstaltung Zootomische Demonstrationen (Wintersemester 1836), welche er mit Hilfe von selbst hergestellten Präparaten von Fischen und Amphibien hielt. Möglicherweise infizierte sich Büchner bei dieser Arbeit mit Typhus, an welchem er wenige Monate später am 19. Februar 1838 verstarb.

Literaturverzeichnis: 

Borgards, Roland (Hrsg.): Büchner Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Stuttgart: Metzler 2015.

Wenzel, Manfed: Georg Büchner als Medizinstudent an der Gießener Universität. – In: Enke, Ulrike (Hrsg.): Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen: Institutionen, Akteure und Ereignisse von der Gründung 1607 bis ins 20. Jahrhundert. Stuttgart: Franz Steiner 2007, S. 169-177.

Naturphilosophie

Georg Büchner beschäftigte sich in der Mémoire unter anderem mit der genetischen Methode, einem Deutungsansatz innerhalb der naturphilosophischen Wissenschaften. Dabei ging Büchner bei seinen Forschungen von simplen, wenig komplexen „Bauplänen“ aus, welche sich im weiteren Verlauf unter bestimmten Umständen zu komplexeren Strukturen entwickeln. 

Büchner erklärte diese Entwicklung einzelner Organismen mit dem Prinzip einer Stufenleiter, die von unten (also von den niederen Strukturen) nach oben in Richtung der am weitesten entwickelten Bauformen verläuft. 

Empirische Methode

Als Wissenschaftler setzte sich Georg Büchner in seiner Probevorlesung unter anderem mit der empirischen Methode auseinander, die auch als funktionalistische oder teleologische Methode bezeichnet werden kann. Denn in diesem Forschungsansatz ging es Büchner um Aussagen und Erkenntnisse, die er aus Experimenten und daraus beobachteten Ergebnissen zog. Dieses Vorgehen kann als praxisbezogene „Erfahrungswissenschaft“ bezeichnet werden.

Büchners Einstellung zur teleologischen Methode ist ambivalent: Einerseits befasst er sich bei seinen anatomischen Untersuchungen auch mit Funktionsweisen von Organen, andererseits distanziert er sich davon, den Organismus allein als „verwickelte Maschine“ und den Schädel lediglich als ein „Gewölbe mit Strebepfeilern“ aufzufassen. Gegen eine solche Reduktion auf Zweck und Funktion setzt Büchner eine zweckfreie Entwicklung von Organismen hin zur höchsten, reinsten und schönsten Form.

Literaturverzeichnis:

Borgards, Roland (Hrsg.): Büchner Handbuch. Leben, Werk, Wirkung. Stuttgart: Metzler 2015.

Georg Büchner: Sämtliche Werke und Schriften. Historisch kritische Ausgabe mit Quellendokumentationen und Kommentar. Marburger Ausgabe. Bd. 8: Naturwissenschaftliche Schriften. Hrsg. von Burghard Dedner und Aurelia Lenné unter Mitarbeit von Eva-Maria Vering und Manfred Wenzel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008.

Friedrich Christian Gregor Wernekinck

Friedrich Christian Gregor Wernekinck wurde am 13. März 1798 in Münster in Westfalen als Sohn eines Professors geboren.

Er studierte in Münster, Göttingen und schließlich 1820 in Gießen Medizin. Wernekinck blieb in Gießen und wurde 1826 zum ordentlichen Professor an der philosophischen Fakultät ernannt. Er hielt Vorlesungen mit dem Schwerpunkt auf Nervenlehre, Anatomie und Mineralogie, für die er sehr geschätzt wurde. Friedrich Wernekinck starb am 3. März 1835 mit 37 Jahren an einer Gehirnentzündung.

Literaturverzeichnis:

Heß, Wilhelm: Wernekinck, Friedrich Christian Gregor. – In: Allgemeine Deutsche Biographie: https://www.deutsche-biographie.de/sfz85115.html (Stand: 01.10.2019)

Johann Bernhard Wilbrand

Johann Bernhard Wilbrand wurde am 8. März 1779 in Klarholz bei Münster in Westfalen geboren. Seine Eltern waren Leibeigene des Klosters zu Klarholz. Wilbrand war ein guter Schüler und begann nach seinem Abschluss am Gymnasium 1798 in Münster sein Studium der Theologie. Sein Interesse galt jedoch den Naturwissenschaften. 1801 brach er sein Theologiestudium ab, um in der Würzburger Universität Medizin zu studieren und dort fünf Jahre später seine Doktorwürde zu erwerben. Später hielt er zurück in Münster Lehrveranstaltungen über die organische Natur, in der er die stufenweise Entwicklung der Natur aufzeigte. 1809 wechselte Wilbrand an die Universität in Gießen, an der er Vorlesungen über Anatomie, Botanik und Zoologie hielt. Er starb dort im Jahr 1846.

Literaturverzeichnis: 

Heß, Wilhelm: Wilbrand, Johann Bernhard. In: Allgemeine Deutsche Biographie: https://www.deutsche-biographie.de/sfz85497.html (Stand: 01.10.2019)

Maaß, Christian: Johann Bernhard Wilbrand (1779-1846).  Herausragender Stellvertreter der romantischen Naturlehre in Giessen. Bd. 1. Gießen: Wilhelm Schmitz Verlag 1994.